Jana Gunstheimer

In der Zwischenwelt

In den stets schwarz-weiss angelegten Zeichnungen und Aquarellen Jana Gunstheimers ist die Dunkelheit Programm. Fast scheint es, als könne es in den ruinösen Räumen, den verwilderten und öden Brachezonen, aus denen die Künstlerin vornehmlich berichtet, nie wirklich Tag werden. Berichtet wird aus einer Schattenwirklichkeit, in der die Übergänge zwischen Fiktion und Fakt, zwischen Traum und Alptraum fliessend sind. Im düsteren Dämmer, der über den Szenen liegt, keimt ein existenzielles Gefühl der Ortlosigkeit und Verlorenheit.

Eben hier, in dieser postkatastrophische Züge tragenden Gegenwelt zu den strahlenden Shopping-Malls unserer „consumer reality", hat NOVA PORTA, die „Organisation zur Bewältigung von Risiken", ihr Betätigungsfeld gefunden. Mit schwer durchschaubaren Ritualen, Testspielen und Freizeitbeschäftigungen bietet sie all denen, die unter Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit leiden, eine Struktur, die enge Gruppenbindung und straffe Hierarchie mit struktureller Ziel- und Sinnlosigkeit verbindet. Damit zitiert das Projekt ebenso die grosse romantische Sehnsucht nach einer anderen - nicht den Effizienz- und Vernutzungszwängen unterworfenen - Wirklichkeit, wie es diese schlussendlich durch die entwicklungslos in sich kreisende Folgenlosigkeit ihrer Angebote ad absurdum führt.
 
Es spricht für die Intelligenz der Arbeit, dass Jana Gunstheimer bei der liebevollen Auslotung und Umkreisung ihres - selbstverständlich - erfundenen Firmenkosmos jeden Ansatz von Eindeutigkeit und Eindimensionalität vermeidet. Das gilt auch für ihre neue Werkgruppe. „Stammsitz" illusioniert das ehemalige Stammhaus der Krupp-Dynastie, die Essener Villa Hügel, als Domizil von NOVA PORTA, die dort „Personen ohne Aufgabe" (POAs) auf einem fortgeschrittenem Level in der Kunst guten Benehmens und vollendeter Form unterrichtet. Dabei verbindet die Serie die durch Repräsentation und Macht gesättigte Aura des Ortes mit den sinnlosen Höflichkeitsritualen der Probanden zu einem Zirkel der Ausweglosigkeit, in dem nichts mehr mit sich selbst identisch ist. Der permanente Balance-Akt zwischen Abbildung und Erfindung, der zu einer Verschmelzung von Fiktion und Realität führt, macht die Arbeit zu einer Metapher künstlerischer Tätigkeit überhaupt: dem Entwurf von Welten, die ihre Brisanz nicht aus ihrer Faktizität, sondern ihrer Potenzialität gewinnen.

Obwohl durchaus soziologisch grundiert, ist dieser künstlerische Mikrokosmos also gerade keine gesellschaftspolitische Abrechnung, sondern eher eine Allegorie auf eine sinnliche Halluzinationsleistung, die in der Erfindung von sich selbst widerlegenden Bildern besteht. Insofern dürfen wir in Jana Gunstheimer eine „Möglichkeitskünstlerin" sehen, die in den Nischen des Alltags Abenteuer sät, die, gerade weil sie sich selbst destabilisieren, einen bleibenden Eindruck hinterlassen.

Dr. Stephan Berg, Kunstverein Hannover

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