Caro Suerkemper - STILLE JUNG FERN

Die Galerie Römerapotheke freut sich ab dem 12. Mai 2017 neue Werke von Caro Suerkemper zu präsentieren.

Die anmutigen, fast fragilen Wesen in der Ausstellung „STILLE JUNG FERN“ beschreiben menschliche Zustände und offerieren uns Einblicke in soziale, kulturelle und politische Problematiken. Sie sind als visuelle Kommentare zu Entwurzelung, Verwundung und Kompensation zu lesen. Thematiken wie das Ganzwerden durch das Erkennen der eigenen Verletztheit und Verletzlichkeit stehen im Fokus dieser Ausstellung in der Galerie Römerapotheke in Zürich.

Im Unterschied zu früheren Arbeiten Caro Suerkempers sind die meisten jetzt ausgestellten Plastiken aus gegossenem Metall. Sie sind zum Teil unter abenteuerlichen Bedingungen in Gießereien in Indien, wo die Künstlerin sich längere Zeit aufhielt, und in Polen entstanden.

Die zentrale Gruppe der Ausstellung sind die "Stillen Jungfern" aus schwerer Bronze und tiefschwarzer Patina, welche die Wesen zu Silhouetten werden lässt, zu tanzenden Schatten. Sie bewegen sich in einem eigenen, schwerelosen Raum und nehmen Distanz ein. Sie  wirken seltsam unberührbar. Ihre Körper sind entblößt, unbekleidet geben sie sich auf eine unschuldige und scheinbar schamlose Art Preis, ohne Bewusstsein von Schuld, zeigen sie sich in ihrer kindlichen Naivität und laufen Gefahr in ihrer Offenheit missbraucht werden. Man will sie beschützen, diese Wesen, deren Schönheit auf deren Unschuld beruht. 

Ein weiteres "gewichtiges" Werk in der Ausstellung ist ein unmittelbar vor dieser Gruppe entstandenes Möbel aus Beton mit dem Titel "Stimulus Response"*. Die Eleganz des zierlichen Tisches steht im krassen Gegensatz zum Medium. Die auf der Tischoberfläche 'abgebildete' Liegende (von der eigentlichen Figur ist nunmehr ein negativer Abdruck vorhanden) befindet sich in der Horizontalen. Die eigentliche Plastik ist herausgewaschen, es bleibt nur die Erinnerung daran. Auch hier stößt der Betrachter an seine Grenzen, die Figur ist nicht greifbar.

Caro Suerkemper macht Verletzlichkeit und Missbrauch, Macht und Ohnmacht zu ihren Themen. Das alles sei weniger feministisch gemeint, sagt sie, vielmehr stehe das persönliche Erleben eines jeden Einzelnen exemplarisch für die Verfassung der Gesamtheit der Bevölkerung.

*Das Stimulus Response oder Reiz-Reaktions-Modell ist ein Modell der behavioristischen Psychologie

 

Interview mit Caro Suerkemper;

LR: Ich habe dich als fröhliche und verschmitzte Person kennen gelernt. Welche Rolle spielt für dich der Humor in deinen Arbeiten? Wird deine Kunst aufs Alter humorvoller oder im Gegenteil ernsthafter?

 

CS: Ich finde Humor im Allgemeinen sehr wichtig weil es ein Schmiermittel ist, damit läuft alles besser! Ich amüsiere mich, wenn er mir in meiner Arbeit begegnet. Der Humor ist auch ein super Transporter, mit dem sich auch unangenehme Inhalte an die richtige Adresse liefern lassen.

Nein, der Humor ist immer gleich geblieben, was er transportiert, das ist vielleicht mit den Jahren konkreter und folglich vielleicht auch ernsthafter geworden.

 

LR: Du brichst mit deiner Kunst Tabus, verdrehst unsere Sehgewohnheiten. Gibt es noch ungebrochene Tabus auf die wir uns in der Zukunft noch freuen dürfen?

 

CS: Ich habe ja gar nicht die Absicht Tabus zu brechen. Ich versuche nur Sachverhalte, die mir merkwürdig vorkommen zu fokussieren und zu ergründen.

Als Beispiel: Ich habe einen Hund, den ich tagtäglich kacken sehe, da ist nichts dabei. Ich beobachte auch, wie sich Hunde, die sich begegnen umkreisen und sich gegenseitig am Anus und Geschlechtsteil beschnuppern. Ist die Sache geklärt und man kann sich gegenseitig einordnen, geht’s weiter. Wenn wir uns diese Szenen beim Menschen vorstellen oder gar einen kackenden Menschen vor Augen führen sieht die Sache ganz anders aus. Und vielleicht auch wiederum nicht. Es ist dieselbe Spannung, die durch den ganzen Körper geht, derselbe Moment der Konzentration, dieselbe Erleichterung. Diese Vorgänge sind auch ganz eng mit unserer inneren Befindlichkeit verbunden.

Ich suche einfach den originären Blick. Tabus sind in dem Moment interessant, wo sie mit unseren Vorbehalten, Vorurteilen, Selbstüberschätzungen verknüpft sind, da lohnt es sich auch einmal genauer hinzuschauen.

 

LR: Deine Figuren befinden sich oft in einem delirischen Parallelzustand der gleichzeitigen Unzucht und strahlender Unschuld. Woher kommt diese Ambivalenz?

 

CS: Tabu und auch Unzucht sind moralische Begriffe, Eingrenzungen, die helfen, eine gesellschaftliche Ordnung und Hierarchie zu zementieren. Ihre Auslegung ist veränderlich, wie sich auch eine Gesellschaft immer wieder verändert und an neue Begebenheiten anpasst. Unter Unzucht stellt man sich heutzutage etwas ganz andres als vor hundert Jahren.

Meine Figuren sind im Grunde Anarchistinnen. Sie wollen wahrnehmen, ohne Begrenztheit. Trotz der etwaigen Schändlichkeit ihrer Lage behalten sie ihre Würde, weil sie bei sich bleiben.  Sie sind ganz im gegenwärtigen Moment. Sie wollen diesen Moment durchleben, selbst wenn er weh tut.

 

LR: Körperöffnungen sind ja ein wiederkehrendes Motiv in deinen Arbeiten. Hast du ein Problem mit Vaginas? Oder hab ich eins?


Caro Suerkemper: Körperöffnungen sind Teil eines jeden Körpers und für gewisse lebenserhaltende Vorgänge notwendig. Ich gehe die Körper, die ich modelliere von innen an, mit der Frage nach der möglichen Befindlichkeit des Wesens, das sich in diesem Körper verbirgt. Es ist ein langwieriges Erfühlen und Erforschen des Zusammenspiels von Gliedmaßen und Physiognomie. Das Modellieren ist ein Akt der Belebung, für mich, denn ich komme in Kontakt mit einer inneren Welt und für die Figur, denn sie wird zunehmend verständlich als autonomes Geschöpf. Die meisten meiner Figuren sind bar jeder Kleidung, da diese immer ein Verweis auf äußerliche Umstände ist und dann haben wir eine Einbindung in einen Kontext, einen Verweis auf Herkunft und schon sind wir mitten in einer Erzählung. Ich meine aber den Zustand im Moment.

Ich wundere mich, dass du mich auf Vaginas ansprichst. Erst einmal gehören sie mit zum weiblichen Körper und dann ist mir nicht bewusst dass ich sie explizit vorgeführt hätte. Oder verwechselst du die Vagina mit der Vulva? Tatsächlich gehören aber zum weiblichen Genitalbereich die äußeren Schamlippen mit dazu. Und es wäre merkwürdig, wenn ich über diesen sichtbaren Körperteil einfach hinwegginge... Es wäre doch komisch Hände, Füße, alles ganz genau zu modellieren, aber diese Stelle auszulassen.

 

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