Volker März

Neue Zürcher Zeitung 2004

Unter Fremdkörpern - Volker März macht keine Kunst 

Er hat Zürich um eine hundertfach sichtbare Arbeit bereichert, die an künstlerischen Unorten wie der Bahnhofstrasse oder der Voliere am Mythenquai zu sehen ist: handtellergrosse Tonfiguren aus «Herrn L.s Neuer Weltgesellschaft für Glück». Volker März, bildender Künstler aus Berlin, ist auf der Suche nach seiner eigenen Theatersprache. ...

Mit Volker März sprechen heisst die Gegenwart teilen mit einem an Nietzsche und Heidegger existenziell geschliffenen Geist. Dem Begründer der «Märzwerke» zuhören bedeutet über Holzwege gehen hin zur Frage: «Was heisst Denken?» Auch März' eigene Urteilskraft muss sich Kritik gefallen lassen: Der 47-Jährige ist mitnichten, wie er denkt, «der Horror aller Kunstkritiker», dazu fehlt ihm jede Selbstgefälligkeit. Doch gerne darf er, wenn er will, sich rühmen, im «eitel konkurrenzbetonten Betrieb» ein Fremdkörper zu sein.
Volker März nämlich ist der Meinung, dass man Freiheit nicht durch die Ästhetisierung des Lebens erreicht, sondern durch die radikale Kritik an den herrschenden Wertvorstellungen und -systemen. Ausgangspunkt seines Schaffens sind seit fünf Jahren handgrosse Figuren, die er aus Ton formt. («Warum modellieren Sie? - Weil ich's nicht kann!») Mit ihnen, etwa dem schwarzberockten «Ersatzmenschen», diesem «aphrodisierenden Resignativum», gibt er seiner persönlichen Philosophie eine Form.
Die Gedärme der Naomi Campbell
März ist es darum getan, in seiner Kunst («Für mich gibt es keine Kunst! Kunst ist, sich im Kopf ein Gegenüber zu schaffen»), in seiner Arbeit, die Widersprüche des Lebens aufzuzeigen: «Es gibt keine Einheit, keine Sauberkeit, keine Schönheit, in der nicht auch das Gespaltene, Dreckige, Eklige wohnt und sich tagtäglich bekämpft. Denken Sie nur einmal an die Gedärme von Naomi Campbell, die interessieren mich.» Widersprüche sind Motor und Motivation, mit denen er seine Allegorien herstellt, die im barocken Sinne das Leben als lustvolles Spiel von Unvereinbarkeiten thematisieren. «Schönheit», sagt einer, der nicht zu den Hässlichen gehört, «ist für mich Stillstand.»
Nur konsequent, dass er seine jüngste Arbeit in einer Stadt realisiert hat, deren Kulturleistung in der Politur der magischen drei S besteht: Schönheit, Sauberkeit, Sicherheit. März' erster Gedanke, aus dem «bankrotten Berlin» kommend, war: «Die haben hier alles und wollen es sichern.» Was sollte er dem hinzufügen? Dann versuchte er sich der Stadt mit seiner eigenen «Sehnsucht nach umspannendem Reichtum» zu nähern. Sein Arbeitstitel hiess anfangs: «Longing- Belonging», und er erfand dazu die «Glücklichen Fremdkörper» (mit welchen zurzeit die ZKB Plakatwerbung macht). Die Figuren waren die ersten Mitglieder von «Herrn L.s Neuer Weltgesellschaft für Glück, nach seinem eigenen Vorbild und dem seines pragmatischen Vaters». (Der Vorvater hierfür: der 1995 jung verstorbene Künstler Thomas Lehnerer und dessen «Weltgesellschaft für Glück».) Auf der Festivalwiese nistete März die «Glücklichen Fremdkörper» ein, im Schaufenster der ZKB die «Scheinesser», im Stadthaus die Figuren von «Unschuldigkeitstreiben».
Absurde Glücksgesellschaft
Sie alle sind ein Bild der Vorstellung, reich zu sein und «nicht richtig zu wissen, wohin damit. Kapital allein ist eben einfach nur dumm.» Weil März nichts an selbigem gelegen ist, kann er leichthändig Figuren verschenken, etwa im Oktober an einem «Auratransfer» in Deutschland.
Anlässlich einer Ausstellung über Walter Benjamin wird er dem Publikum 50 Original-Benjamin-Figuren verteilen - Motto: «Jedem seinen Benjamin». In Zürich wird der Besucher der Landiwiese von März das Geschenk erhalten, selbst Fremdkörper unter glücklichen Fremdkörpern zu sein, Mitglied einer absurden Glücksgesellschaft, die, selbst überrascht, gerade am Ufer des Zürichsees gelandet ist. - Das tun sie spät, die Gesellschafter des Herrn M. Ihr Schöpfer nämlich bekennt, dass er mit den Büchern des Schriftstellers Urs Widmer überhaupt erst zu denken begonnen habe. «Ich wollte dem Urs Widmer immer einmal schreiben und mich bei ihm für alles bedanken, was er in mir angerichtet hat.»
Was dieser in ihm angerichtet, wie er ihn zugerichtet hat, ist schwer zu beurteilen; die Früchte der Zurichtung indes sind barbusige Wesen, die sich ihrer Umgebung als Wasserträger andienen, als Vogelbad (in der Voliere) oder Glücksbringer, die mit Kugeln aus Gold zugange sind. Sie gleichen uns in den entscheidenden Punkten, meint März: «Sie sind alle einmal durchs Feuer gegangen, sie sind zerbrechlich - und käuflich.»
Daniele Muscionico
Standorte der Figuren: Stadthaus, ZKB-Schaufenster Börsenstrasse, Turner-Denkmal General-Guisan-Quai, Voliere Mythenquai sowie Landiwiese, bis 29. August.

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