Marcel Gähler

Monopol, Nr. 2/2007, Februar
In der romantischen Literatur gibt es die Idee von der einen Sekunde, bevor der neue Tag beginnt. Da stehe die ganze Welt für einen Augenblick still: Kein Blatt raschelt, kein Vogel singt. Danach erst bricht der erste Lichtstrahl durch das Dunkel. Immer wieder haben Künstler versucht, diese eine Sekunde einzufangen. Der Schweizer Marcel Gähler zählt zu den wenigen, denen es gelungen ist. Schon als Fotos wären seine Bilder grossartig: Nachtaufnahmen in Schwarzweiss von undefinierten Orten, die trotzdem einen hohen Wiedererkennungswert haben: Häuserfassaden und Unterholz, Zäune und Wegränder, Gärten im Regen und unter Schnee. Oft scheint es, als sei versehentlich fotografiert worden: Mal liegt der Horizont diagonal, mal wurde nur Boden aufgenommen, mal ist die Aufn ahme verwackelt. Wo geblitzt wurde, reflektieren unwichtige Nebensächlichkeiten wie ein verdorrter Ast oder Schneetreiben das Licht, und die Gegenstände werfen harte Schlagschatten auf den Boden. Gählers Notate stiller Alltäglichkeiten zu nächtlicher Stunde, in ihrer Banalität brillant, hat jeder schon einmal gesehen. Sie funktionieren deshalb auch als Katalysatoren der Erinnerung. Doch was Gähler ausstellt, sind nicht die Fotografien. Der Absolvent der Zürcher Hochschule für Gestaltung und Kunst benutzt seine Aufnahmen als Vorlagen für filigrane kleinformatige Bleistiftzeichnungen und für Aquarelle. Aus der Distanz haben vor allem Gähler. Der Absolvent der Zürcher Hochschule für Gestaltung und Kunst benutzt seine Aufnahmen als Vorlagen für filigrane kleinformatige Bleistiftzeichnungen und für Aquarelle. Aus der Distanz haben vor allem Gählers Bleistiftzeichnungen konzeptuellen Charakter. Nur sechs mal neun Zentimeter gross, einheitlich unter Glas gerahmt und in regelmässigen Abständen nebeneinander gehängt, wirken sie in Ausstellungen als monochrome serielle Reihung ebenso wie als Einzelbilder. In Deutschland waren Gählers Arbeiten erst einmal in einer Einzelausstellung, im Kunstverein Friedrichshafen, zu sehen. Das sollte sich ändern.

Stefan Koldehoff, 2007

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