Caro Suerkemper

In heisser Lieb’ gebraten – eine emphatische Begegnung
Während eines Stipendiums in der Nähe von Deruta, einem bis heute aktiven Zentrum italienscher Majolika, entdeckte Caro Suerkemper, sonst bekannt für ihre zarten Gouachen mit Hintersinn, diese keramische Technik für sich. - Warum nicht das Spiel mit der Tellerform als architektonisch definierten Malraum auskosten, die Malerei aus dem Reservoir der Glasurfarben entwickeln, in der Verbindung zum Aufessen ihre frechen Sujets aus dem Tellergrund auftauchen lassen? - Die Resultate weckten die Lust auf mehr und ein Stipendium im Europäischen Zentrum für Keramik in s’Hertogenbosch, dem internationalen Ort für Künstler, Architekten und Designer, um die technischen Möglichkeiten der Keramik auszutesten, brachte sie noch einen Schritt weiter. Sie ließ ihre Figurenmalerei in die Dreidimensionalität wachsen.

Als Material für ihre räumlichen Vision hat sie sich auf die Keramik eingelassen. Mit einem Grenzen ignorierenden Enthusiasmus erobert sie die schwierige technische Wissenschaft und macht sie sich, angetrieben von ihrer untrüglichen künstlerischer Intention, untertan. Längst hat sie sich tief in diese Materie versenkt, eigene Herstellungswege entwickelt, in allen ihr wichtigen technischen Teilfragen, wie Formbau oder Brennprozess, hat sie Spezialisten aufgetan, selbst das schwierige Terrain der Glasurbemalung für ihre Anliegen so entwickelt, dass sich scheinbar selbstverständlich die Anmutung der Gouache auch als Unterglasuroberfläche einstellt oder spiegelnde Oberflächen wie Rüstungen erscheinen. Hinter jedem Detail der Wirkung steckt eine Genealogie der technischen Prozesse, die der Betrachter nicht einmal ahnt.
Auch in die Formgebung ist es ihr gelungen ihre Handschrift direkt in die keramische Masse, den Ton zu übertragen. Immer einen Klumpen Ton dabei, knetet und formt sie mit gleicher Leichtigkeit, mit der sie skizziert. Ihre Figurenkomposition wächst unorthodox von oben nach unten. Die Spitze, der Gipfel, das Gesicht entsteht zuerst. Nach und nach baut sie die tragenden Figuren und Körpergeschlinge bis sie beim finalen Sockel und Fußende landet. - Das Direkte des Formens, Knetens, Modellierens ermöglicht die Übertragung der ganzen Spontaneität ihres künstlerischen Wollens von der Hand, den Fingerspitzen in die Form. Es entsteht eine Lebendigkeit des Ausdrucks, die Kunsthistoriker am Bozetto mit hymnischen Worten besingen. Bei Caro Suerkemper begegnen wir dieser Qualität in Hautoberflächen, mit ihren kleinen liebenswürdigen Dellen, den himmelwärts zeigenden Näschen, dem entrüsteten Kinn, seltsam verzücktem Blick, verschlungenen oder grapschenden Händen, ebenso wie in der gekonnten Ungenauigkeit, die den Freiraum für Vorstellungen bildet, bis sie schließlich im Rundherum der quirlig lebendigen Bewegungskomposition kulminiert. Ihre Freude am weiblichen Körper und seinen Möglichkeiten, sich zu drehen, zu wenden, inszeniert sie liebevoll ironisch ganz im Sinne einer figura serpentinata, ein Topos des Manierismus, den sie mit natürlicher Verve gegenwartstauglich macht.

Ins Museum für Angewandte Kunst Frankfurt ist die Künstlerin mit ihren Figuren eingezogen, um dort in den Epochenräumen der Historischen Villa Metzler mit der Vergangenheit in einen ungenierten in Dialog zu treten. Die historischen Dinge sind für Suerkemper keine tote Materie, ob barocke Porzellane oder Möbel, der machtvollen Präsenz der Werke, die ihren Raum mit einem Höchstmaß an geschmacklicher Sicherheit und Würde behaupten, sie fühlt sich ihnen auf einer sinnlichen Ebene verbunden. - Neun Wohn- und Mobiliarambiente, Raumcollagen zu den Epochen des Barock bis Jugendstil, konstruiert und inszeniert aus den Sammlungen des Museums, unterstützt von Repliktapeten und abgestimmter Textilausstattung, bilden aus dem Blickwinkel der Künstlerin eine pantheistische Landschaft, in der sich ihre Figuren bewegen. – Wie die Raum-Bezüge in der Villa in verschiedenen Epochen in die Geschichte zurückgehen, so lässt der Ausstellungstitel „in heisser Lieb gebraten“ (1524) das Fragment eines lutherschen Liedes in seiner Drastik eine Seite der deutschen Renaissance fühlbar werden. Die Wahl des Titels verstärkt auf poetische Weise die Widersprüchlichkeit der Suerkemper’schen Wesen. Diese versuchen ihrerseits ihren Platz zu behaupten, dem ungebrochenen Schönheitswillen, der vollendeten Ästhetik zu begegnen, diese in ihrer Hermetik durch Phantasien über Sinnlichkeit und (Un)Sitten aufzustören. Wie wild wuchernde Gewächse verbinden sie sich scheinbar camouflageartigen mit dem Ort, mischen sich unter die eingeschworene Gemeinschaft, balancieren lustvoll - märtyrerhaft auf einer Säule oder halten uns leere Teller entgegen. Sie rekeln, ringen, zerren sich an den Haaren, sitzen ahnungslos opferbereit in einer Schüssel, oder stehen heimatlos verloren zwischen den Reiseutensilien des Biedermeier. - Schleichend, unterschwellig und vermeintlich arglos erzwingen Caro Suerkempers Geschöpfte einen neuen Blick auf die stumm versammelten Zeugen der jeweiligen Zeit, infiltrieren das konstruierte Bild mit einer anderen Wahrnehmungsebene und überlassen den Besucher seinem durchaus lustvollem Zweifel darüber, was hier wohl gespielt wird.

Sabine Runde 2012

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