REDUCE TO MAX

"Reduce to max" ist eine geläufige Maxime in Marketing und Werbung: Die Bildaussage muss abstrahiert und pointiert sein, die Botschaft verständlich und plakativ. Stilmittel der Übertreibung und Hervorhebung finden dabei oft Verwendung, die Reduktion auf das Wesentliche – „reduce to max" – ist jedoch das oberste Gebot. Der pragmatische Ausstellungstitel „reduce to max" spielt im wörtlichen Sinne auf die Reduktion an: Auf die Konzentration und Verdichtung des Bildinhalts im Kleinstformat. Im Fokus der diesjährigen kuratierten Ausstellung der Galerie Römerapotheke werden elf Positionen figurativer Miniaturmalerei und Zeichnungen im Taschenformat präsentiert. Kleinformatige Malerei hat in der Geschichte der Kunst eine lange Tradition: Aufwändige Miniaturen in Folianten trieben sowohl in der persischen als auch in der abendländischen Kultur ihre Hochblüten, ab dem 16. Jahrhundert waren Miniaturportraits sehr beliebt – diese wurden erst durch das Aufkommen der Fotografie langsam verdrängt – und im Biedermeier fand das Kleinformat noch einmal grosse Beachtung. Das Faszinosum des kleinen Formats liegt auf der Hand: Es ist die Spiegelung des Kosmos auf ein Mikroformat, die Preziose als transportables Stück Welt im Taschenformat.

Wir präsentieren die Arbeiten der drei Galeriekünstler Marcel Gähler, Jana Gunstheimer und Judit Villiger. Ausserdem haben wir 8 weitere interessante Positionen (Jenny Brillhart, Rebekka Brunke, Eva Grün, Rubén Méndez, Vera Ida Müller, Nathan Ritterpusch, Sigga Bjorg Sigurdardóttir, Christian Weihrauch) wir für diese Ausstellung eingeladen.


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Jenny Brillhart (*1972, USA)

Die Amerikanerin Jenny Brillhart malt skurrile Interieurs, so detailgenau, daß sie auf den ersten Blick aussehen, als wären sie fotografiert. Sie baut winzige, ironische "Fehler" ein, um auf die wahre Qualität des Malerischen zu verweisen. Sie modelliert die Farbflächen so fein, als tanze die Sonne Hiphop darin. Tanzt sie auch. Schließlich findet die Künstlerin ihre Motive vor ihrer Haustür in Miami Beach. Dort reihen sich zwischen den Palmen die typischen, in die Jahre gekommenen US-Hotels am Strand aneinander wie Perlen auf der Kette. So einem alten Beton-Ding, dem Saxony Hotel, hat sich Jenny Brillhart angenommen. Jener morbiden Übergangszeit zwischen sommerlichem Hochbetrieb und absoluter Entmietung, wo diese Häuser nicht mehr sind, als stereotype, öde Schachteln am schönen, weißen Sand. Natura morte im warmen Sonnenlicht.
Die Malerei boomt, das ist bekannt; Interieurs sind ein klassisches Sujet. Matthias Weischer, Shooting-Star der Leipziger Schule, hat den Innenraum neu entdeckt. So gesehen ist Jenny Brillhart die amerikanische Antwort auf Weischers melancholische Wohn-zimmer. Nur, daß bei ihr die Sonne ewig scheint. Und im nächsten Frühjahr kommen die Gäste wohl auch wieder.

Jenny Brillhart wird von der Galerie Kuckei&Kuckei Berlin ver-treten.


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Rebekka Brunke (*1970, D)

Die Bilder (Öl auf Leinwand) der Künstlerin Rebekka Brunke spiegeln Landschaftseindrücke, wie sie der Reisende erhält, wenn er aus dem Fenster seines Fahrzeuges in eine ihm fremde Gegend blickt. Rebekka Brunkes Motive sind unaufdringlich und wenig spektakulär:
Unterwegs von einem Punkt zum Nächsten zieht diese Landschaft an dem Reisenden vorbei. Aber auch in diesen scheinbar unauffälligen Bildern verbirgt sich jeweils ein Stück Leben, das die Übertragung in die Malerei erst sichtbar macht. „Diese Malerei ist zurückhaltend, sowohl farblich als auch im Duktus. Grautöne herrschen vor, etwas Grün, Blau, zartes Rosa: damit beschwören Sie eine Erinnerung, die distanziert ist und aus dem Vergessen erst wieder hervorgeholt werden muss."
Auszug aus einem Text von Martin Stather, Mannheimer Kunst-verein

Ergänzt wird ihre Arbeit durch Malereien von Luftpostbriefum-schlägen, Postkarten, Briefmarken und Zeichnungen, die als Zeug-nisse der Reise verstanden werden können. Mit den feinen Linien der Plotterzeichnungen, die direkt auf Wänden angebracht werden, wird ihr Konzept unterstützt. Schemenhafte Umrisse, die auf-tauchen und verschwinden, greifen das Thema des „Auf-Reisen-seins" auf.

Rebekka Brunke ist Gewinnerin des Heinrich – Vetter Kunstpreises 2007 und wird von der Galerie Schuster Frankfurt/Berlin vertreten.


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Marcel Gähler (*1969, CH)

Wenn Marcel Gähler mit der Kamera ins Dunkel der Nacht blitzt, dann hält das Foto eine Welt  im Schlaf fest. Es sind Ausschnitte vergessener, vertrauter Orte, häufig im Schnee oder bei Regen:
Etwa ein Pflanzplätz mit verdorrtem und aufgestängeltem Gemüse, die Überreste eines improvisierten Treibhauses, das noch vom vergangenen Sommer zeugt, eine Hauswand hinter einem Vorgartenstrauch oder die Spitze eines Baumes in den Himmel weisend.
Seine Fotos dienen Marcel Gähler als Vorlage für spektakulär detaillierte Bleistiftzeichnungen im Format 6x9cm. Durch diese Umsetzung wird sichtbar, was in der Fotografie enthalten ist. Was zuvor dem schnellen Blick entgangen ist, zeigt sich nun in den Bildern subtil verstärkt. Es sind Bilder, die sich an einer Schnittstelle von belanglosem Schnappschuss und bedeutungs-geladener Anspielung befinden und so einen motivischen Schwebe-zustand kreieren, der die Interpretation offen lässt. Entrückte Erinnerungen oder Traumsequenzen werden geweckt.
Ins Bild tritt der täglich wiederkehrende Verlust von Welt, gebannt auf Papier.


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Eva Grün (*1975, A)

Eva Grün zitiert in Ihren Collagen und Tuschen auf die Ästhetik und Sprache der Bild- und Warenwelt. Bilder weisen sich durch skizzenhafte, figurative und malerische Elemente auf. Die Künstlerin verwendet für ihre Tuschezeichnungen scheinbar wertlose Materialien wie Karton, Klopapier oder Zeitungspapier. Dinge, die immer und überall um uns herum sind. Die Malweise, u.a. das Experimentieren mit Techniken, räumt dem Zufall eine gewollte Rolle ein. Das Spiel mit dem Banalen ist zugleich künstlerische Spielwiese und Programm:
Durch die Anordnung der figürlichen Tuschezeichnungen mit den Schnipseln aus Zeitungsschlagzeilen entsteht plötzlich so etwas wie immanenter Sinn.

Eva Grün wird von der Galerie Schuster Frankfurt/Berlin vertreten.


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Jana Gunstheimer (*1974, D)

Jana Gunstheimer analysiert als Künstlerin und Ethnologin den Zustand unserer Gesellschaft. Sie konstatiert dabei Arbeits-losigkeit, zunehmende Gewaltbereitschaft und rituelle Ersatzhand-lungen bei gleichzeitiger Ökonomisierung aller Lebensbereiche. Aus dieser Zustandsbeschreibung entwickelt sie in kleinformatigen schwarzweissen, mit Wasserfarben nach Fotografien gemalten Bildern eine Welt, in deren Zentrum die fiktive Organisation Nova Porta steht. In dieser Scheinwelt, in der Fiktion und Realität beständig ineinander fliessen, durchspielt Jana Gunstheimer verscheidene Szenarien von Überwachung und Kontrolle, Lebens-coaching und sinnlosen Beschäftigungsprogrammen.

Zur Ausstellung „reduce to max" wird die zweite Ausgabe der „Massnahme" in der Galerie Römerapotheke vorliegen. „Mass-nahme" fungiert als Zeitung für die Mitglieder von Nova Porta, ist auf acht Ausgaben angelegt und in Anlehnung an Arbeit-beschaffungs- und Wiedereingliederungsmassnahmen der Agentur für Arbeit auf zwei Jahre befristet. Jede „Massnahme" enthält einen Mitmachteil an dem man – je nach Mitgliederstatus bei Nova Porta – teilnehmen kann oder teilnehmen muss. Ziel der „Massnahme No. 01" war es, „pesönliche Schwachstellen zu minimieren und souveränes Subjekt zu werden".
„Massnahme No. 02" ist nun eine Sonderausgabe zur Werkgruppe „Über F." mit dem Titel „In diesem Haus vergass man F. – ein Leben als Fallbeispiel".

Weitere aktuelle Ausstellungen mit Arbeiten von Jana Gunst-heimer:
Compilations III, Kunsthalle Düsseldorf, Vernissage 20. April 2007
Art Institute of Chicago, Einzelausstellung, Vernissage 7. Juni 2007


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Rubén Méndez (*1960, MEX)

Der mexikanische Maler Rubén Méndez rekurriert in seiner Malerei auf die farbenfrohe Retroästhetik der Produkte, Werbung und Mode der 50er und 60er Jahre. Typographie, Stadtpläne, Objekte und Figuren vereinen sich zu einer eigenwilligen Logik jenseits des perspektivischen Raumes. Die Anordnung dieser Bilderwelt hat durchaus narrative Züge, drängt den Betrachter jedoch nicht in eine definitiv gesetzte Geschichte, sondern überlässt ihm vielmehr das freie Assoziieren einer eigenen Geschichte. In der Be-schränkung auf die Miniatur – so die Meinung des Künstlers – wird die durch Respekt und Ehrfurcht bedingte Kluft zwischen Kunstwerk und Betrachter aufgehoben; die Kunstwerk kann a priori zur persönlich angeeigneten Preziose werden.

Rubén Méndez wird von der Galerie Charro Negro in Zapopan, Mexico vertreten.


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Vera Ida Müller (*1979, CH)

Fotografien, in Familienalben eingeklebt, sind ein fester Be-standteil unserer Kultur. Vera Ida Müller malt aus dem Reservoir fotografischer Erinnerungen heraus, still, unspektakulär. Die Kon-turen hat die Künstlerin ihren Bildern ausgetrieben; sie wirken, als seien sie verblichen oder in Auflösung begriffen und zeigten die Unschärfe einer Wirklichkeit, die nur noch Erinnerung ist. Es geht ihr nicht um das Abbild der Wirklichkeit, sondern um die Verbildlichung der inneren Bilder, der Er-inne-rung. Erst die malerische Umsetzung der Fotografien – ein langsamer oder genauer gesagt ein langatmiger Prozess der Annäherung an den Kern des Bildes – ermöglicht die Atmosphärische Aufladung. Und bruchstückhaft, diffus und in sich gekehrt, zeigt Veras Arbeit gerade das, was sie nicht zeigt. Wenn fast nichts mehr zu sehen ist, sieht man fast alles, thematisiert sie das Verschwinden des Bildes und macht es damit zu Projektionsfläche für selbst Erlebtes. Die Bilder, die wir sehen, sind still, erstarrt und leer und über-lassen es ganz uns Betrachtenden, darin zu lesen. In den wie beiläufig gemacht wirkenden Gemälden erkennen wir unweigerlich Fragmente aus den eigenen Bildern der Vergangenheit. Sie wecken unsere Erinnerungen an Erlebtes, wie an das seltsam wichtige Detail eines Traums oder die unerreichbare Wichtigkeit eines verwurzelten Kindheitsbildes. Die pastose Farbgebung lässt sie wie Erinnerungsfetzen wirken.

Auszug aus einem Text von Dorothee Messmer


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Nathan Ritterpusch (*1976, USA)

Die Vorlagen für die Bilder der Serie „Old Enough To Be My Mother" hat Nathan Ritterpusch aus Männermagazinen der 50er und 60er Jahre entnommen, die er auf E-Bay ersteigert hat. Durch Verwischen der noch frischen Ölfarbe erzeugt der Künstler einen Effekt, der den Frauenbildnissen einerseits Science-fiction- und Barbarella-Qualitäten verleiht, andererseits aber auch Melancholie evoziert, indem der Eindruck entsteht, die Schönheit flösse – dem Regen auf einer Glasscheibe nicht unähnlich – an ihnen ab. Klein aber laut, pulsieren diese Miniaturportraits zwischen Verführung und Traurigkeit.

Nathan Ritterpusch wird von der RARE Gallery New York vertreten.


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Sigga B. Sigurdardóttir (*1977, IS)

Auf windschiefem Papier tummeln sich die Kreaturen der jungen Isländischen Künstlerin Sigga Bjorg Sigurardóttir in bunt geringelten Hemden, hochgezogenen Söckchen und flauschigen Tutus, die dem Großteil der Betrachter jenen gutturalen Laut entlocken, der normalerweise für den Blick in den Kinderwagen einer frisch gebackenen Mutter reserviert ist. Und doch sind die Zeichnungen weit davon entfernt, ins Kinderzimmer zu gehören, denn wenn man sie nur lange genug ansieht, erwachen sie zum Leben, spucken, sabbern, würgen, kriechen aneinander hoch, befingern sich, trampeln aufeinander herum, fügen sich Schmerzen zu oder stehen nur da und betrauern ihre Toten. Die verborgene Welt, in der diese Geschöpfe mit den triefenden Mündern und haarigen Armen existieren, ist eine Spiegelwelt:
Der tief in isländischen Mythologie verwurzelte Glaube an Kobolde, Trolle und Feen, die in den Wäldern ihr Unheil und Schabernack mit den Menschen treiben, schlägt sich unwillkürlich in der Arbeitsweise der Künstlerin nieder: „Ich denke ich bin sehr Isländisch und da ist mein Unterbewusstsein natürlich voller Dinge die ich gelernt oder gesehen habe, als ich dort aufwuchs. Ich versuche nicht, etwas „Isländisches" zu machen, wenn ich arbeite. Ich versuche nur ehrlich zu sein." Diese Ehrlichkeit, eine Art Selbstbetrachtung mit Sicherheitsabstand - denn trotz allem, erinnert die Stimme der Raison im Hinterkopf, sind die kleinen Geschöpfe ja nicht echt - das verdeckte Bekenntnis zu eigenen Fehlern und die Suche nach der eigenen Einstellung verbinden die Zeichnungen Sigurdardóttirs mit den Erzählungen über die mythologischen Geschöpfe. Mit einfühlsamer, aber doch zwei-deutiger Schlichtheit gehen die Zeichnungen widersprüchlichen Emotionen zwischen Lachen und Weinen, Zuneigung und Abscheu, Mitleid und Schadenfreude auf den Grund.

Auszug Katalogtext von Katharina Klara Jung, 2006

Sigga Bjorg Sigurardóttir wird von der Galerie Adler, Frankfurt ver-treten.


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Judit Villiger (*1966, CH)

Anknüpfend an ihr Museum im Taschenformat, das plastisch nach-gebildete Details aus vierzehn Kunstwerken verschiedener Stil-epochen zeigte, hat Judit Villiger sich für ihre neusten Malereien nun von literarischen Naturbeschreibungen anregen lassen. Nun nimmt die Künstlerin Bezug auf Beschreibungen fantastischer Landschaften und imaginärer Orte bei Jules Verne und Robert Walser und hat aus Verpackungsmaterialien und Requisiten aus dem Modellbauset dreidimensionale Modelle dieser Natur-landschaften gebaut. Die inszenierten Maquetten dienen der Künstlerin wiederum als Vorlage für kleinformatige, in alt-meisterlicher Manier in Öl auf Gesso gemalte Preziosen einer imaginären Landschaftsutopie.


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Christian Weihrauch (*1966, D)

Christian Weihrauch zeigt Buntstiftzeichnungen, "in ihrer eigen-willigen, zarten und textilen Struktur, mit ihren wunderlichen, phantastischen Themen. Sie ermöglicht ihm den malerischen Bezug, jedoch nicht im Sinne eines Kolorierens der Bildwelt, sondern als ein gleichsam linear gewachsenes Farbmuster. Die zeichnerisch empfundene Farbwelt wächst durch die Linie zum bildnerischen, manchmal imaginären Raum. Diese vorgetäuschten Räume werden allerdings nicht architektonisch konstruiert, sie bewachsen sich, Farben und Schraffuren bilden abstrakte Formen, folgen in ihrer Andeutung dem Sujet und bilden eine Mikrostruktur, die die Bilder von Innen wachsen lässt. 'Der Buntstift ermöglicht mir, direkte träumerische Dimensionen auszukundschaften, ohne deren Räumlichkeit zu unterlaufen. Im zeichnerischen Wuchern der Muster und Texturen entstehen Gebiete, die ich zu erkunden habe und die ich gern mitnehmen möchte, als eingefrorene Kristalle'."

Auszug aus einem Text von Dr. Katja Schneider

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